Mittwoch, 17. März 2021
Gedanken zu Smartphone, Medienkompetenz und Mediennutzung
Wenn sich zwei alte Freunde treffen, vergeht die Zeit meistens wie im Flug. Es sei denn, der eine hat seit kurzem sein erstes Smartphone überhaupt bekommen, da er sich sehr lange bisher gegen alles gesträubt hat, was mit dem Internet, Smartphones und sozialen Medien etwa zu tun hat. Dann kann es passieren, dass derjenige von beiden, für den das bereits alter Kaffee ist, quasi Selbstgespräche führt während er in das vom Display erleuchtete Gesicht seines Kumpels spricht.

Das sagt etwas über Impulskontrolle, Respekt und Anstand des einen aus. Aber auch über die ungeheure Anziehungskraft, die besonders die sozialen Aspekte dieses modernen Werkzeugs besitzen. Woher etwa soll auch die Kompetenz, nicht gleich auf jeden Benachrichtigungston zu reagieren, kommen? Viele solcher Kompetenzen sind schlicht Erfahrungswerte. Und die vielen neuen Möglichkeiten, plötzlich auf Facebook etwa mit alten Schulfreunden reden zu können oder seine Fotos auf Instagram quasi der ganzen Welt zu präsentieren, können einen schon mal alles um sich herum vergessen lassen. Dieser enorme Sprung vom kleinen Klapphandy in die wahnsinnig große Welt des Internets kann einen schon betäuben. Ich erinnere mich noch gut daran zurück, wie ich damals mein CB-Funkgerät heimlich mit ins Bett nahm, angefixt und schon süchtig nach der sozialen Interaktion mit anderen. Ich kann gut verstehen, dass man erst recht sein Smartphone in der ersten Zeit kaum aus der Hand legt. So unhöflich das auch ist.

Doch entgegen der grundlegenden Skepsis bis Ablehnung von selbsternannten Experten wie Prof. Dr. Manfred Spitzer etwa, ist das Smartphone ja einfach ein kleiner Computer, damit letztlich ein Werkzeug. Und wie bei jedem Werkzeug kann es produktiv oder destruktiv eingesetzt werden, es hängt allein von der Nutzung ab, ob es bereichert oder behindert. Sicher, die Verlockungen sind mannigfaltig, man kann ihnen nur widerstehen wenn man ihre Mechanismen kennt. Besonders die sogenannten sozialen Netzwerke, die eigentlich asoziale Netzwerke sind, sind darauf ausgelegt ständig mittels kleiner Belohnungen unser Belohnungszentrum im Gehirn anzusprechen. Sie sind so programmiert dass sie süchtig machen. Da wir Menschen soziale Wesen sind, freut sich unser Gehirn über soziale Interaktion, besonders natürlich über Anerkennung durch Likes und Herzen, mittels Ausschüttung von Glückshormonen und Botenstoffen. Pausenlos wird unsere Aufmerksamkeit mittels Tönen und Benachrichtigungen beansprucht, ständig neuer Input verstärkt die Angst, etwas von diesen bunten Bildern, nichtssagenden Videos und den ganzen anderen Belanglosigkeiten zu verpassen. Die gezwungene ständige Selbstdarstellung kreist nur noch um Belohnung durch Anerkennung von anderen. Als ich zum Beispiel zum ersten Mal Fotos bei Instagram hochlud, war mein fester Plan nur zu posten worauf ich Lust hatte. Doch die Anerkennung in Form von Herzen verfehlte auch bei mir ihre Wirkung nicht und veränderte mein Nutzungsverhalten bald grundlegend. Aus Persönlichkeitsentfaltung wurde Prostitution. Als mir das klar wurde löschte ich erschrocken meinen Account. Mittlerweile habe ich wieder einen, aber ich bin kompetenter und unabhängiger bei der Nutzung geworden. Dazu braucht es aber auch die Fähigkeit zur Reflexion, die vor allem Kinder noch gar nicht besitzen. Was Smartphones vielleicht doch im Sinne von Herrn Spitzer und anderen so gefährlich macht.

Denn überall in der digitalen Welt wird von den perfiden Programmierern unser Belohnungszentrum angesprochen, besonders deutlich wird das auch bei Videospielen. Es braucht schon viel mühsam zu erlernende Nutzungskompetenz, um das Werkzeug Smartphone bereichernd einzusetzen. Die meisten Eltern aber schicken auch nur bunte Spruchbilder hin und her, es zeigt sich ähnlich wie beim Fernsehen, natürlich in deutlich potenzierter Form, wo etwa nur wenig Niveau und nur ein geringer Bildungshorizont ist, macht moderne Technik allein auch keine besseren Menschen. Wer zum Beispiel glaubt, mit dem Verlassen der Schule fertig mit dem gezielten Lernen zu sein, wird auch nicht mit dem Smartphone wieder anfangen, obwohl die Möglichkeiten dazu fast unendlich sind. Auch kann der kleine mobile Computer enorm dabei helfen, die eigene Kreativität auszuleben oder ein besserer Sportler zu sein. Richtig angewandt unterstützt das Smartphone dabei sich gesünder zu ernähren, seine Nahrungsaufnahme zu protokollieren oder auf vielfältige Weise sein Leben besser zu organisieren. Von den schier endlosen Varianten der Zerstreuung ganz zu schweigen. Nicht zuletzt natürlich auch die unterhaltsamen Möglichkeiten der Kommunikation, zum Beispiel nehme ich für meinen Whatsapp-Status gerne mal ein kleines Video auf oder schicke, wie es mittlerweile gang und gäbe ist, Sprachnachrichten zu meinen Kontakten. Der Erkenntnis in diesem Zusammenhang, dass es der Psyche nicht gut tut immer erreichbar sein zu müssen und die jeweiligen Einstellungen in den Programmen, dabei trotzdem niemanden vor den Kopf zu stoßen, war ebenfalls ein langer Lernprozess. Ich lerne immer und ständig noch dazu, obwohl mich Computer, freilich nicht das Internet, schon mein ganzes Leben begleiten.

Und so hängt es sehr vom Nutzer, seiner Problemlösungsfähigkeit, seiner Selbstreflexion, der Bereitschaft und der Möglichkeit zum schnellen dazulernen, seinem Charakter und vielen anderen individuellen Fähigkeiten ab, ob das Smartphone Lust oder Frust ist. Ob es das Leben bereichert oder von ihm ablenkt. Ich hoffe jedenfalls, mein Kumpel lernt schnell wieder die hohe Wertigkeit eines realen Kontaktes zu schätzen, denn die beste Möglichkeit der Kommunikation ist immer noch von Angesicht zu Angesicht. Die regt nämlich auch sehr unser Gehirn an.

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Sonntag, 14. März 2021
Fluch des Ghettos
Es ist passiert. Ich bin in nachbarschaftlichen Proll-Kreisen angekommen. Viele Jahre ist es mir gelungen, genau das zu vermeiden. Doch eine vor einiger Zeit im Alkoholrausch gemachte Bekanntschaft hat sich verselbständigt und gipfelte gestern in einem gemeinsam verbrachten Abend.

Es war der reine Horror. Gleich zwei Prolls, da der eine noch einen anderen mitbrachte, saßen in meinem Zimmer herum und demonstrierten ihren niveaulosen Hedonismus, weil ihnen im Leben sonst nichts einfällt. Während der eine zwar sein Leben überhaupt nicht im Griff hatte, so ist er obdachlos und schwer Substanz abhängig offenbar, konnte man mit ihm primitiv zwar, aber noch relativ respektvoll reden. Der andere, mein Hauptkontakt, entpuppte sich ebenfalls als am seidenen Faden Hängender, der zu allem Überfluss aber über kaum Impulskontrolle verfügte.

Und so ließ ich hunderte Anekdoten aus dem Ghetto über mich ergehen, die alle das gewaltsame Niedermachen irgendwelcher anderen Leute beinhaltete. Nebenbei musste ich mir viele Fotos von irgendwelchen Typen auf Facebook anschauen, wahrscheinlich um zu beweisen das mein Kontakt sehr beliebt ist.

Es fiel mir immer schwerer die Fassung zu bewahren bei all dem Schrott, der aus den Mündern der beiden kam. Solche Leute sprechen auch immer sehr laut, warum auch immer.
Ich bin auch nicht besonders gebildet oder niveauvoll, aber die beiden waren doch eindeutig weit unter meinem Niveau. In Gedanken bat ich um Abbitte bei einigen meiner Freunde, die mich schon manchmal mit ihrer Oberflächlichkeit genervt hatten. Im Gegensatz zu diesen beiden Exemplaren drogensüchtiger Intelligenzverweigerung jedoch sind wir alle Bildungsbürger.

Nun frage ich mich, wie ich diese toxische Bekanntschaft von mir fern halten kann. Das Problem ist, der Typ wohnt im Hochhaus nebenan, Ghosting oder ähnliches funktioniert hier nicht. Ich traf ihn und seinen Bruder schon einmal beim einkaufen. Ich kann nur hoffen, er wird sich so schnell nicht wieder melden. Er ist jedenfalls ein weiterer Faktor, langfristig das Ghetto und Berlin zu verlassen. Der Wohnkomfort, nicht zuletzt wegen steigender Kriminalität, sinkt seit Jahren und so langsam wird die Luft hier dünner. Ich habe es immer vorgezogen hier nur meine guten Freunde zu kennen, aufgrund meiner kräftigen Statur ließ man mich bisher auf der Straße immer in Ruhe. Wenn ich nicht ganz stark aufpasse, könnte sich das grundlegend ändern. Für mich als Ruhe suchenden Menschen ist nichts schlimmer, als ständig diesen bei Prolls üblichen übergriffigen Grenzüberschreitungen ausgesetzt zu sein. Mal schauen wie es weiter geht.

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Samstag, 13. März 2021
...und wieder ist Punk tot
Google News spuckte es beiläufig aus: Rio von der Band No Exit ist tot. Mit 52 Jahren. Der Berliner Kurier, den Google News mir vorschlug, überbrachte mir mit einem Tag Verspätung die Nachricht. Wieder ist Punk tot.

Zumindest das, was ich Mitte bis Ende der Neunziger darunter verstand. No Exit ist eng mit meiner Jugend verbunden. Als ich die Freiheit, Bier und Gras und die Rebellion gegen die ganzen Spießer um mich herum entdeckte, lieferten unter anderem Rio und Lars, der damalige Drummer, und der Rest der Band sehr oft den Soundtrack meines Erwachens aus den starren Konventionen dieser alten DDR-Erwachsenen, die mich eh meistens wie Scheisse behandelt hatten.

An einem Abend im Club Renner in Marzahn etwa lernte ich Steffen kennen, wir standen beide an der Wand, der Bühne zugewandt und ich brachte den Spruch, dass doch jeder mit dem Arsch an die Wand will. So entstand eine temporäre, recht eigenartige Freundschaft, die aber durchaus auch ihre Höhen hatte. Steffen war sehr gut mit Lars befreundet und daher oft auf No Exit-Konzerten anzutreffen.

Während meiner Lehre im damaligen Kaufhof Marzahn lief mir auch einmal der damalige Gitarrist von No Exit über den Weg, außerdem gehörte noch ein fesches Mädel (Anja?) dazu. No Exit war immer mehr als nur eine Band die man nur konsumierte. Gerade in der heute Baseballschläger-Jahre genannten Zeit, wo Punks und Zecken in Ostberlin sehr gefährlich lebten, war das Zusammengehörigkeitsgefühl noch größer als später.

Ob im Zosch in Mitte, im K.O.B. in Westberlin in der Nähe des ebenfalls nicht mehr existenten Drugstore oder in sonst welchen Läden, meine damalige Clique und ich lebten unser ganz spezielles Wendekind-Gefühl mit viel Bier, Gras und rotzigem Punkrock aus. Unsere Kneipe war das Schliemann Cafe im Prenzlauer Berg in der Schliemann Straße, zu der Zeit als man dort noch kiffen konnte und die abgerissensten Typen dort verkehrten. Auch noch bevor das Klo nach hinten verlegt wurde, später hat sich wohl eine Stammkundschaft entwickelt, die glaubt die einzig wahren da gewesen zu sein. Doch wir waren noch zu den wirklich wilden Zeiten dort gewesen. Auch bekam ich da mal ein Underground-Grind-Fanzine mit einer kleinen Schallplatte in die Hände, ich glaube Maul hiess es, jedenfalls war auf der Platte neben dem grandiosen Song der Untoten "suchen tut mich keiner" der Pionier-Song von No Exit. Ich glaube so bin ich auf die Band aufmerksam geworden, Mitte der Neunziger.

Einmal trank ich mit Rio auch ein Bier in irgendeiner Location, es kann im Pfefferberg gewesen sein, SO36 oder sonst wo. Die ganzen Konzerte existieren nur noch schemenhaft und verschwommen vor meinem geistigen Auge. Ab und zu sah ich Rio dann noch in Alt-Hohenschönhausen, was auch immer er da machte. Er war etwas vom Alkohol gezeichnet, aber nicht so krass wie Wölfi von den Kassiererin, den ich mal im Friedrichshain traf.

Mit Rio ist aber auch ein Stück meiner Jugend gestorben, die wilden Neunziger in Ostberlin, wo man jedes Wochenende unterwegs war. Wo Punkrock noch eine musikalische Rolle spielte, man sich noch einen guten Rausch auf Konzerten leisten konnte und Berlin bei weitem noch nicht so voll war. Rest in Power Rio! Und danke für alles.

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